Warum es im Zeitalter von KI für gute Entscheidungen den Menschen braucht
- Thomas Untereichner
- 16. Mai
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 17. Mai
EXECUTIVE SUMMARY:
Die zunehmende Verbreitung von Künstlicher Intelligenz (KI) und Big Data hat in vielen Unternehmen die Hoffnung geweckt, bessere Entscheidungen rein datenbasiert treffen zu können. Jedoch wird meist die Komplexität realer Entscheidungsfindung verkannt. Gute Entscheidungen erfordern nach wie vor menschliche Fähigkeiten wie Urteilsvermögen, Kontextverständnis, ethisches Bewusstsein und Vorstellungskraft.
Der Artikel identifiziert acht Dimensionen, die für fundierte Entscheidungen entscheidend sind und die (vorerst) ausschließlich Menschen leisten können. Dazu zählen u. a. das Kreieren von Visionen, das Erweitern des Lösungsraums, die kritische Auswahl und Interpretation von Datenquellen sowie die Fähigkeit, strategisch und ethisch zu denken.
Um diese Fähigkeiten im Zeitalter der KI nicht zu verlieren, müssen Unternehmen gezielt in die Entscheidungsfähigkeit ihrer Mitarbeiter investieren. Dazu gehören:
Die KI hinterfragen: KI liefert wertvolle Informationen, ersetzt aber nicht das menschliche Denken.
Führungskräfte müssen sich "die Hände schmutzig machen": Die Entscheider sollten regelmäßig direkten Kontakt zu Kunden, Netzwerk und Mitarbeitenden suchen, um am Stand der Marktentwicklung zu sein.
Explizit machen menschlicher Stärken: Intuition und Vorstellungskraft sind entwickelbare Fähigkeiten, keine Black Boxes.
Förderung einer lern- und anpassungsfähigen Unternehmenskultur: Nur in einem sicheren Umfeld entfalten sich Kreativität und kritisches Denken.
Hybride Entscheidungsmodelle: Die Kombination von KI-Analyse und menschlichem Urteil schafft die Grundlage für wirklich zukunftsfähige Entscheidungen.
Daten als auch die Nutzung von neuen Schlüsseltechnologien, wie die KI sind wichtig – aber sie ersetzen nicht den Menschen. Wer langfristig erfolgreich sein will, muss Technologie und Mensch in einer neuen, bionischen Entscheidungsarchitektur zusammenführen.

Entscheidungsfindung: Mehr als nur Daten
Die rasante Entwicklung Künstlicher Intelligenz (KI) hat Erwartungen geweckt, menschliche Entscheidungsfindung zu revolutionieren – durch die Analyse großer Datenmengen und leistungsstarke Algorithmen. Der Glaube, dass Daten allein zu besseren Entscheidungen führen, ist weit verbreitet. Doch Entscheidungen erfordern mehr als nur Datenaggregation: Sie beinhalten Werturteile, Vorstellungskraft, Kontextbewusstsein und strategische Abwägungen. All das sind Fähigkeiten, die nach wie vor in der menschlichen Hand liegen.
Nehmen wir das Beispiel von Kodak und Fuji. Beide Unternehmen hatten dieselben Informationen über den digitalen Wandel in der Fotografie. Kodak setzte weiter auf analoge Produkte, während Fuji diversifizierte und in digitale Technologien investierte. Sony wiederum sah ebenfalls in der digitalen Fotografie eine Chance und stieg als weiterer Mitstreiter in den Markt ein.
Diese Divergenz unterstreicht, dass Entscheidungen von der Interpretation, dem Kontext und der strategischen Gestaltung abhängen – Bereiche, in denen das menschliche Urteilsvermögen entscheidend bleiben wird.
8 menschliche Dimensionen der Entscheidungsfindung
01. Vision kreieren
Jede Entscheidung dient letztlich einem menschlichen Zweck – sei es Status, Sicherheit oder gesellschaftlicher Nutzen. Diese Visionen sind subjektiv und müssen spezifiziert werden, um zu verstehen, wie der entsprechende Erfolg aussehen könnte. Diese Entscheidung kann nicht auf eine KI ausgelagert werden.
02. Konkrete Zwischenziele festlegen
Visionen müssen in greifbare Zwischenziele, die weitere Entscheidungen mit sich bringen übersetzt werden – etwa Sicherheit und Budget beim Autokauf oder Wachstum und Markenwert in Unternehmen. Diese Abwägungen entstehen nicht durch Algorithmen, sondern durch eine menschliche Bewertung und iterative Klärung.
03. Handlungsoptionen abstecken
Daten geben wertvollen Input sind aber retrospektiv. Menschliche Entscheidungen basieren oft auf kontrafaktischen Zahlen: Was könnte passieren und wie könnten wir die Wahrscheinlichkeit beeinflussen, dass sich verschiedene Möglichkeiten abspielen. Airbnb z. B. entstand aus der Idee (einem kreativen Akt), dass Menschen Fremde in ihren Wohnungen beherbergen und nicht aus einer Analyse der Branchendaten.
04. Auswahl und Gestaltung der Datenquellen
Daten müssen erzeugt (gesammelt), gefiltert und interpretiert werden. Quantitative Daten sind nicht immer ausreichend und bedürfen einer Synthese von qualitativen Daten. Qualitative Einsichten, etwa durch Beobachtungen oder Interviews, liefern entscheidende Informationen, wie beispielsweise die Produktidee zum Swiffer von Procter & Gamble, auf einer enthnografischen Studie beruht.
05. Vertrauenswürdigkeit der Quellen einschätzen
KI kann Glaubwürdigkeit nicht bewerten, Menschen schon. Beim Autokauf schenken viele der Meinung von Freunden mehr Vertrauen als der Werbung. Auch im Business gilt: Nur wer Anreize und Bias erkennt, trifft fundierte Entscheidungen.
06. Auswahl des Entscheidungsmethodik
Studien belegen, dass es keinen einzigen universellen Algorithmus gibt, der alle Probleme in gleichwertig hoher Qualität lösen kann. Menschen müssen festlegen, welche Methodik sie je nach Situation und Zielsetzung heranziehen. Was bei dem einen Problem mittels Heuristiken effektiv gelöst werden, benötigt in einer anderen Situation eine aufwendige Forschungsstudie.
07. Wettbewerb berücksichtigen
Gute Entscheidungen sind nicht nur funktional, sondern auch wettbewerbsfähig. Dazu braucht es Verständnis für die Marktmechanismen bzw. die Strategien der Konkurrenz. Die daraus resultierenden Zusammenhänge sind Fähigkeiten, die nach wie vor von menschlichen Strategen eingebracht werden.
08. Ethische Überlegungen einbeziehen
as wirtschaftlich sinnvoll ist, kann moralisch fragwürdig sein. Entscheidungen müssen gesellschaftlichen Werten entsprechen und sind eine genuin menschliche Verantwortung.
Neue Regeln für eine KI-unterstützte Entscheidungsfindung
Da zentrale Entscheidungsaspekte außerhalb der Reichweite von KI liegen, gewinnen menschliche Fähigkeiten an Bedeutung. Unternehmen müssen diese systematisch fördern:
01. Die KI hinterfragen
Effektive Entscheidungsfindung kombiniert Daten mit menschlichem Urteil. Eine KI soll Werkzeuge liefern, nicht den Denkprozess ganzheitlich ersetzen. Menschliche Interpretation, etwa bei der Gestaltung KI-gestützter Entscheidungsagenten, bleibt entscheidend.
02. Führungskräfte müssen sich „die Hände schmutzig machen“
Wie Piloten manuelles Fliegen üben, müssen Entscheider den direkten Kontakt zu Kunden, Mitarbeitern oder Prozessen suchen. Toyotas Prinzip „Genchi Genbutsu“ – sich vor Ort ein Bild machen – zeigt, wie wichtig eigenes Erleben für fundierte Entscheidungen ist.
03. Implizite Fähigkeiten explizit machen
Die Intuition (oft als „Bauchgefühl“ abgetan) basiert auf Erfahrung und kann geschult werden. Reflexion über Denkprozesse, Entscheidungs-Heuristiken und Annahmen fördert Klarheit und Lernfähigkeit.
Auch die Vorstellungskraft ist entwickelbar: Sie lässt sich systematisch stimulieren, etwa durch die Analyse von Ausreißern, das Infragestellen bestehender Annahmen oder durch gezielte Experimente.
04. Eine lern- und anpassungsfähige Kultur fördern
In technokratischen Organisationen wird Intuition oft unterdrückt. Psychologische Sicherheit, Offenheit und Kritikfähigkeit sind Voraussetzungen, damit menschliche Stärken wie Kreativität oder Wertbewusstsein wirken können.
05. Hybride Entscheidungsmodelle aufbauen
Die Zukunft liegt in bionischen Organisationen, die das Beste aus beiden Welten verbinden: KI übernimmt strukturierte Aufgaben (Datenanalyse, Mustererkennung), Menschen setzen Ziele, prüfen Ethik und verstehen den Kontext.
Ein Beispiel: Der Erfolg von Starbucks’ Pumpkin Spice Latte lag nicht in klassischen Geschmackstests, sondern in der Intuition der Entwickler, dass Einzigartigkeit für ein saisonales Produkt wichtiger ist als Geschmack. Nachfolgende Datenanalysen bestätigten diese Annahme.
Auch Netflix kombiniert datenbasierte Analyse mit menschlicher Intuition: Die Entscheidung für „Stranger Things“ beruhte nicht nur auf Popularitätsdaten über 80er-Jahre-Inhalte, sondern auch auf der mutigen Wahl eines unerprobten Showrunner-Teams – ein Risiko, das die KI nicht empfohlen hätte.
Fazit
Daten und KI sind mächtige Werkzeuge, aber Entscheidungen sind mehr als Rechenoperationen. Sie sind menschliche Akte, geprägt von Werten, Kontext, Vorstellungskraft und Urteilsvermögen. Unternehmen, die sich ausschließlich auf die KI verlassen, drohen wichtige Differenzierungsmöglichkeiten zu verlieren.
Der Weg zu besseren Entscheidungen liegt nicht in der Verdrängung des Menschen, sondern in der Stärkung seiner Fähigkeiten und in der bewussten Kombination von Technologie und Menschlichkeit.
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