Die Selbstgefälligkeit in der Hybris von Unternehmen – warum viele Leader ihre Organisationen mit einem Lächeln ins Nichts steuern
- Wolfgang Steigenberger

- 25. Okt.
- 7 Min. Lesezeit
EXECUTIVE SUMMARY:
Der Blog beleuchtet die gefährliche Selbstgefälligkeit vieler Unternehmen, die aus vergangenem Erfolg entsteht. Zahlreiche Leader steuern ihre Organisation mit einem Lächeln – aber ohne Richtung.
Gerade in Österreich zeigt sich dieses Phänomen deutlich: Traditionsunternehmen und Marktführer ruhen sich auf alten Erfolgen aus, unterschätzen neue Technologien, veränderte Arbeitswelten und kulturellen Wandel. Aus Stärke wird Trägheit – aus Stabilität Stillstand.
Die Hybris des Erfolgs führt dazu, dass Unternehmen Warnsignale übersehen, kritische Stimmen ignorieren und sich gegenseitig in einer trügerischen Sicherheit bestätigen. So verlieren sie Schritt für Schritt ihre Lernfähigkeit, Anpassungsbereitschaft und Innovationskraft.
Erfolgreiche Leader unterscheiden sich dadurch, dass sie Zweifel zulassen, externe Perspektiven suchen und eine Kultur der Reflexion fördern. Sie wissen:
Erfolg ist kein Status, sondern ein Moment.
Die zentrale Botschaft: Nicht Mangel oder Krise gefährden Unternehmen – sondern Selbstzufriedenheit. Wer nicht bereit ist, sich im Erfolg ständig zu hinterfragen, steuert sein Unternehmen mit der Zeit ins Nichts.

Einleitung
In vielen Unternehmen herrscht eine trügerische Ruhe: Man feiert Erfolge, zeigt Souveränität, betont Stabilität – und übersieht dabei die Zeichen der Zeit. Diese Haltung wirkt oft charmant, sympathisch, fast beruhigend. Doch genau hier liegt das Problem. Eine gefährliche Mischung aus Selbstgefälligkeit und Hybris sorgt dafür, dass Führungskräfte ihre Organisationen mit einem Lächeln ins Leere steuern – in Richtung Bedeutungslosigkeit, Verlust von Innovationskraft oder Marktstellung.
In diesem Artikel beleuchte ich, warum dieses Phänomen besonders in Österreich verbreitetet ist, welche Mechanismen dahinterstecken – und wie Leader gegensteuern können, bevor der Kurs irreversibel wird.
Was verstehen wir unter Hybris und Selbstgefälligkeit?
„Hybris“ – ursprünglich ein Begriff aus der griechischen Tragödie – beschreibt Übermut, Selbstüberschätzung und den Glauben an die eigene Unfehlbarkeit. Im Management meint es die Haltung: „Wir wissen, wie es geht, wir haben alles im Griff.“
Selbstgefälligkeit ist das emotionale Pendant: ein Zustand der inneren Behaglichkeit, der Reflexion, Kritik und Veränderung unnötig erscheinen lässt.
Gemeinsam bilden sie ein toxisches Duo – vor allem in erfolgreichen Organisationen. Denn dort, wo Erfolge gefeiert werden, fällt Selbstkritik oft schwer. Und wer die Welt von oben betrachtet, verliert schnell den Blick für das, was am Boden passiert.
Warum Hybris besonders im österreichischen Kontext gedeiht
Österreichische Unternehmen sind bekannt für Stabilität, Solidität und langfristiges Denken – an sich großartige Qualitäten. Doch genau diese Stärken bergen eine Schattenseite: eine Kultur der „Gemütlichkeit im Erfolg“.
Vier strukturelle Besonderheiten fördern das Risiko:
Tradition schlägt Transformation
Österreichs Wirtschaft ist geprägt von Familienunternehmen, starken Mittelständlern und bewährten Strukturen. Was funktioniert, wird beibehalten – oft über Jahrzehnte. Diese Stabilität kippt leicht in Behäbigkeit: „Wir haben’s immer so gemacht, und es hat funktioniert.“
Hierarchische Kultur und Harmoniebedürfnis
In vielen Unternehmen – und auch in Politik und Verwaltung – wird Kritik als Angriff empfunden. Lieber hält man das System stabil, als Widerspruch zu riskieren. Das fördert Selbstgefälligkeit, besonders in Führungsetagen.
Erfolg als Legitimation für Stillstand
Wenn Unternehmen oder öffentliche Institutionen lange erfolgreich sind, entsteht eine fast religiöse Überzeugung: „Unser Weg ist der richtige.“ Diese Denkweise verhindert Innovation und Selbstkorrektur.
Fehlender Mut und mangelnde Bereitschaft Risiken einzugehen
Weite Teile der österreichischen Gesellschaft haben sich an eine Grundversorgung gewöhnt, für die keine individuelle Anstrengung nötig ist. Gleichzeitig werden die Begriffe Leistung und Anstrengung stigmatisiert. Dafür ist kein Platz in einer Wohlfühlkultur...
Beispiele aus Österreich: Wenn das Lächeln trügt
01. Signa – das Paradebeispiel für Hybris im Großformat
René Benko und die Signa-Gruppe verkörperten jahrelang das österreichische Erfolgsnarrativ: Selfmade-Unternehmer, internationale Expansion, Luxusmarken, Visionen. Die Auftritte waren glänzend, die Rhetorik souverän – und das Selbstbewusstsein grenzenlos. Doch hinter dem Lächeln wuchs ein undurchsichtiges Konstrukt, getragen von Fremdkapital, undurchsichtigen Netzwerken Selbstüberschätzung und mangelnder Transparenz.
Das Ergebnis ist bekannt: Zusammenbruch, Milliardenlöcher, zerstörte Reputation. Das System Benko steht sinnbildlich für eine Hybris, die sich aus Erfolg nährt und durch fehlende Kontrolle verstärkt wird. Die Warnsignale waren da – aber sie wurden ignoriert, weil niemand das schöne Bild stören wollte.
02. Airlines und Banken – Stolz auf den alten Glanz
Auch in Branchen wie der Luftfahrt oder im Bankwesen zeigt sich die österreichische Variante der Selbstgefälligkeit.
Austrian Airlines klammerte sich lange an alte Markenstärke und analoge Prozesse – während Billigflieger und digitale Plattformen längst neue Spielregeln schufen. Erst unter massivem Druck erfolgte eine strategische Neuausrichtung.
Ähnlich im Bankensektor: Manche Institute ruhten sich auf regionaler Marktführerschaft aus, statt frühzeitig in digitale Geschäftsmodelle zu investieren. Erst Fintechs und internationale Wettbewerber zwangen sie zur Bewegung.
03. Energiebranche – der Mythos der Sicherheit
Ein weiteres Beispiel: Die Energieversorger. Jahrzehntelang galt das Geschäft als stabil, berechenbar, monopolähnlich. Viele Unternehmen entwickelten Strategien, die auf Beständigkeit statt Disruption setzten. Erst mit der Energiekrise 2022 wurde sichtbar, wie trügerisch diese Sicherheit war. Die Hybris der „Planbarkeit“ fiel in sich zusammen – und offenbarte, dass man auf ein Zukunftsmodell zu wenig vorbereitet war.
04. Politik und Verwaltung – die kulturelle Parallele
Selbstgefälligkeit in der Hybris ist nicht nur ein Unternehmensphänomen. Auch Politik und Verwaltung zeigen ähnliche Muster: Man vertraut auf bewährte Netzwerke, bekannte Gesichter, eingespielte Routinen. Kritische Stimmen werden marginalisiert, Systemkritik als Illoyalität verstanden. Das führt zu Strukturen, die kaum lernfähig sind – und Probleme lieber aussitzen, als sie neu zu denken.
Der bekannte Satz „Passt schon“ ist zur kulturellen Metapher geworden – freundlich, aber gefährlich. Denn er steht für das Gegenteil von Weiterentwicklung.
Wie sich Selbstgefälligkeit in der Führung zeigt
01. Auf der Verhaltensebene
Führungskräfte wirken souverän, gelassen, manchmal fast charismatisch – aber sie hören nicht mehr zu.
Kritik wird als lästig empfunden.
Strategien werden durchgewunken, nicht mehr hinterfragt.
Erfolge werden als persönliches Genie interpretiert, Misserfolge als Ausnahme.
02. Auf der kulturellen Ebene
Organisationen mit Hybris ähneln Bühnen: Alles wirkt geordnet, erfolgreich, stabil – bis man hinter die Kulissen blickt.
Die internen Kommunikationswege sind starr, Meinungsvielfalt ist gering.
Entscheidungen beruhen auf Loyalität statt Kompetenz.
Innovation wird angekündigt, aber nicht gelebt.
03. Auf der strukturellen Ebene
Kontrolle und Governance verlieren an Schärfe. Boards oder Aufsichtsräte werden zur Dekoration, statt zur Korrekturinstanz. Das zeigte sich bei Signa ebenso wie bei Fällen in staatsnahen Unternehmen – von Casinos Austria bis zu Energieversorgern. Selbst wenn Risiken bekannt waren, fehlte der Mut, sie klar anzusprechen.
Warum das so gefährlich ist?
Selbstgefälligkeit und Hybris sind keine kurzfristigen Fehler, sondern langfristige Systemrisiken.
01. Sie verhindern Lernen
Wer glaubt, schon alles zu wissen, stellt keine Fragen. Damit versiegt die wichtigste Ressource jeder Organisation: Neugier.
02. Sie schaffen Filterblasen
Führungskräfte umgeben sich mit Menschen, die sie bestätigen. Das verzerrt die Wahrnehmung und macht Unternehmen blind für Markt- oder Kulturveränderungen.
03. Sie blockieren Transformation
Wer mit einem Lächeln in die Kamera blickt und sagt: „Wir haben das im Griff“, verspielt Glaubwürdigkeit – denn Wandel beginnt immer mit Zweifel, nicht mit Selbstsicherheit.
04. Sie zerstören Vertrauen
Wenn Mitarbeitende merken, dass ihre Führung in einer Scheinwelt lebt, bricht Loyalität zusammen. Das Unternehmen wirkt nach außen stabil, innen aber leer.
Österreichische Mentalität: Stärke oder Schwäche?
Es wäre falsch, die österreichische Kultur pauschal zu kritisieren – sie hat viele Qualitäten: Balance, Pragmatismus, Bodenständigkeit. Doch dieselben Eigenschaften können kippen, wenn sie nicht reflektiert werden.
„Gemütlichkeit“ kann zu Stillstand führen.
„Verlässlichkeit“ kann zum Dogma werden.
„Bodenständigkeit“ kann Innovation hemmen.
Und genau hier liegt die Gefahr: Wenn sich Erfolg mit Zufriedenheit paart und Zufriedenheit mit Unbeweglichkeit, entsteht Selbstgefälligkeit – eine „freundliche Form der Dekadenz“.
Wege aus der Hybris – was Führungskräfte tun können
01. Mut zur Selbstreflexion
Führung beginnt mit dem Mut, eigene blinde Flecken zu erkennen.
Wann habe ich zuletzt meine Überzeugungen in Frage gestellt?
Wo bin ich bequem geworden?
Wer darf mir widersprechen – und wer traut sich wirklich?
Ein ehrlicher Sparringpartner, ein externer Coach oder ein kritischer Beirat sind keine Bedrohung, sondern Lebensversicherung gegen Selbstüberschätzung.
02. Feedbackkultur neu denken
Viele österreichische Unternehmen haben Feedback formalisiert – aber entleert. Statt echter Dialoge gibt es Wohlfühlgespräche. Eine reife Feedbackkultur bedeutet, dass auch unangenehme Wahrheiten willkommen sind – ohne Gesichtsverlust.
Beispiel: Ein führendes Industrieunternehmen in Oberösterreich hat in den letzten Jahren ein internes „Disagree-Ritual“ eingeführt – jede größere Entscheidung muss mindestens einmal offen in Frage gestellt werden. Ergebnis: Bessere Strategien, weniger Gruppendenken, mehr Tempo.
03. Governance als Korrektiv begreifen
Aufsichtsräte müssen mehr sein als Netzwerke alter Bekannter. Sie sind die wichtigste Barriere gegen kollektive Selbstgefälligkeit. Wenn Governance nicht fordert, wird sie zum Mitläufer. Vorbildlich agieren hier etwa Unternehmen wie die Voestalpine, wo der Aufsichtsrat konsequent auf Risikomanagement und Innovationsstrategien achtet – auch wenn es unbequem ist.
04. Lernkultur stärken
Führungskräfte sollten Irrtum nicht als Makel, sondern als Lernmoment begreifen .Ein Beispiel lieferte Runtastic (später von Adidas übernommen): Die Gründer waren bereit, ihr Produkt mehrfach radikal zu verändern, statt an der Erstidee festzuhalten. Diese Offenheit hat sie langfristig erfolgreich gemacht – ein Gegenmodell zur Selbstgefälligkeit.
05. Kulturelle Rituale für Unruhe schaffen
Unternehmen brauchen Rituale, die sie regelmäßig „stören“.Das kann ein jährlicher „Strategie-Premortem“ sein („Angenommen, wir scheitern – warum?“), ein internes Zukunftslabor, oder die Einbindung junger Talente, die Tabus brechen dürfen. Der österreichische Mittelstand kann von Start-ups lernen, dass Unruhe kein Feind, sondern eine Quelle der Erneuerung ist.
Der psychologische Kern: Warum lächeln, wenn’s brennt?
Das Lächeln vieler Leader ist mehr als eine Pose – es ist Selbstschutz. Es signalisiert Kontrolle in einer Welt, die sich verändert. Doch wer zu lange lächelt, verliert den Kontakt zur Realität. Psychologisch betrachtet ist das „Lächeln ins Nichts“ ein Abwehrmechanismus gegen Unsicherheit – ein Versuch, Stabilität zu suggerieren, wo keine mehr ist.
Führung aber bedeutet nicht, Unsicherheit zu kaschieren, sondern sie bewusst zu
gestalten.
Reflexionsfragen für Führungskräfte
Wo verwechsle ich Erfolg mit Sicherheit?
Ist mein Geschäftsmodell wirklich zukunftsfähig – oder nur vertraut?
Welche unbequemen Stimmen höre ich nicht (mehr)?
Wer sind meine „blinden Flecken“ im Team, die ich vielleicht selbst geschaffen habe?
Wie sehr prägt mich (die österreichische) Komfortkultur?
Bin ich zu sehr auf Stabilität bedacht – auf Kosten von Lernbereitschaft und notwendiger Weiterentwicklung?
Was würde passieren, wenn wir unser Erfolgsrezept von Grund auf infrage stellen?
Könnten wir es aushalten, dass vielleicht alles neu gedacht werden muss?
Welche Signale übersehe ich gerade, weil sie nicht ins Bild passen?
Märkte, Talente, Technologie, gesellschaftliche Erwartungen – was verdränge ich?
Fazit:
Die Hybris der Selbstgefälligkeit ist kein lauter, sondern ein leiser Feind. Sie kommt nicht mit Chaos, sondern mit Charme. Sie lächelt, sie beruhigt, sie sagt: „Alles passt.“
Doch genau in dieser Ruhe liegt die Gefahr. Österreichische Unternehmen – ob groß oder klein – müssen lernen, das Lächeln zu hinterfragen. Nicht, weil sie scheitern werden, sondern weil sie sonst aufhören zu lernen.
Wer führen will, muss zweifeln können. Wer zweifelt, kann lernen. Und wer lernt, kann verhindern, dass das Lächeln zum Abgrund führt.



Kommentare